Ein Sommer mit Ingrid Bergman & Isabella Rossellini
03.07. – 27.08.2025
Der Kuss in Alfred Hitchcocks Notorious, die Blicke zu Humphrey Bogart in Casablanca, die Tränen in Roberto Rossellinis Viaggio in Italia – Ingrid Bergman war die prägende Schauspielerin ihrer Zeit. Aus diesem Schatten befreite sich ihre Tochter Isabella Rossellini mit eigensinnigem Witz und Mut zu unkonventionellen Rollen. Wir dokumentieren diese Entwicklung in einer Retrospektive mit 19 Filmen aus den Jahren 1942 bis 2024.
Matthias Lerf
«Ah Isabella! Keine Person der Welt bewundere ich mehr als sie», sagte die italienische Regisseurin Alice Rohrwacher vor zwei Jahren, als sie ihren Film La chimera am Filmfestival von Cannes vorstellte. Isabella Rossellini spielt darin einen kleinen, aber wichtigen Part. Und die Regisseurin ergänzte: «Ich musste sie unbedingt gewinnen für diese Rolle. Sie ist das Kind zweier Kino-Ikonen. Und hat es trotzdem geschafft, ihre eigene Identität zu finden, was ganz bestimmt nicht einfach war.»
Nicht einfach? Das ist untertrieben: Isabella Rossellini, jetzt 73 Jahre alt, ist die Tochter von Ingrid Bergman. Auf dem Gipfel ihres Ruhmes verliess diese 1949 Mann und Tochter in den USA, um den italienischen Regisseur zu heiraten, mit dem sie Stromboli gedreht hatte. Ein Riesenskandal in Hollywood. Mit Roberto Rossellini hatte sie drei Kinder – darunter eben Isabella. Nach sieben Jahren scheiterte auch diese Ehe und sie floh mit den Kindern auf eine schwedische Insel. Roberto Rossellini erkämpfte sich vor einem italienischen Gericht das Sorgerecht zurück, steckte die Kinder in eine Römer Wohnung, liess sie bei Bediensteten aufwachsen. Und besuchte sie nur ab und zu, weil er – der gute Katholik – längst eine neue Familie hatte.
Ein Skandal? Isabella Rossellini selbst beurteilt die Geschichte ihrer Herkunft, wie vieles in ihrem Leben, ziemlich pragmatisch. Sie sagte zum Beispiel in Cannes: «Natürlich störte mich früher, dass ich nur als das Kind zweier berühmter Eltern wahrgenommen wurde. Aber jetzt stört mich noch viel mehr, dass die aktuelle Generation gar nicht mehr weiss, wer Ingrid Bergman und Roberto Rossellini waren.»
Also gut: Ingrid Bergman (1915–1982) war in den 1940er-Jahren die bekannteste Schauspielerin Hollywoods. Ihren Ruhm begründete der zeitlose Hit Casablanca (1942) von Michael Curtiz, in dem sie während des Zweiten Weltkriegs in Marokko ihre von Humphrey Bogart gespielte Jugendliebe wieder trifft.
Für die Besetzung der Ilsa, die ihre grosse Liebe schliesslich der Pflichterfüllung opfert, war Ingrid Bergman ideal. «Sie malt Humphrey Bogarts Gesicht mit ihren Augen», schrieb zum Beispiel der bekannte US-Kritiker Roger Ebert und brachte damit die Themen von Casablanca auf den Punkt: Liebe, Sehnsucht, Pflichterfüllung in schwierigen Zeiten. All das eingebettet in ein Setting mit perfekt besetzten Nebenrollen. Und Filmdialogen, die längst Klassiker sind.
Übrigens: Der in Zusammenhang mit Casablanca am häufigsten zitierte Satz «Play it again, Sam» – er hat sogar einem Woody-Allen-Film den Titel gegeben – fällt so nie. Ingrid Bergman fordert zwar den Pianisten Sam auf, das Lied, das ihre Liebe symbolisiert, zu spielen, aber nicht mit diesen Worten. Und auch Humphrey Bogart sagt es nie. Aber gute Filme wie Casablanca machen eben Sätze noch leuchtender, als sie es eh schon sind. Genauso wie die Stars, die sie sprechen.
Ingrid Bergman, geboren in Stockholm, war in ihrer Heimat längst eine bekannte Schauspielerin, als sie 1938 vom US-Produzenten David O. Selznick entdeckt wurde. Zu dieser Zeit drehte die fliessend Deutsch sprechende Tochter eines Schweden und einer Deutschen in Berlin die Liebeskomödie Die 4 Gesellen, die ihre Karriere im Land ihrer Mutter lancieren sollte. Im letzten Moment entschied sie sich dann aber doch gegen Nazi-Deutschland und für Hollywood.
In die Traumfabrik kam sie gerade richtig: Äusserlich unterschied sie sich stark von den aktuellen Diven, wurde sofort gelobt für ihre Natürlichkeit, auch weil sie manchmal darauf bestand, ohne Schminke aufzutreten. Und nach Casablanca konnte sie gar bei der Wahl ihrer Rollen mitreden – eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit im strengen Studiosystem, wo Schauspieler:innen den Studiobossen «gehörten». Bergman entschied sich also für Gaslight (1944) von George Cukor, in dem sie eine Frau am Rande des Wahnsinns verkörpert. Und dafür ihren ersten Oscar gewann.
Ingrid Bergman spielte in dieser Zeit vieles, eine Nonne (The Bells of St. Mary’s), eine Heilige (Joan of Arc), eine Prostituierte (Arch of Triumph). Die spannendste Rolle aber gab ihr Alfred Hitchcock in Notorious (1946), auch hier zerrissen zwischen Pflichterfüllung als Agentin, die zu Spionagezwecken einen Bösewicht heiraten muss, und ihrer grossen Liebe.
Notorious ist einer der besten Hitchcock-Filme, darin gibt es unter anderem den längsten Kuss der Filmgeschichte, in dem Ingrid Bergman und Gary Grant kaum voneinander lassen können (eine Hitchcock-Fantasie, die Akteure beklagten sich, die Szene sei unangenehm zu drehen gewesen). Aber es wurde bald zu so etwas wie einem Abschiedskuss aus Hollywood. Mit Hitchcock drehte sie noch Under Capricorn in England. Und reiste dann nach Italien, um mit Roberto Rossellini zu arbeiten, dem sie geschrieben hatte, sie wolle unbedingt mit ihm drehen.
Während der Dreharbeiten zu Stromboli verliebten sich Bergman und Rossellini ineinander, die drei Kinder entstanden, sechs Filme dazu. Aber schon das Meisterwerk Viaggo in Italia (1954) kann als Bilanz einer gescheiterten Beziehung gelesen werden, mit einer rührenden Szene: Bei den Ausgrabungen in Pompeji wird ein Liebespaar gefunden, das beim Vulkanausbruch vor beinahe 2000 Jahren eng umschlungen verschüttet wurde – ein Anblick, den die in einer leblosen Ehe gefangene Figur von Ingrid Bergman zutiefst verstört.
Die Rückkehr nach Hollywood wurde ihr nicht leicht gemacht. Sie schaffte ihn schliesslich mit einem Umweg über Paris, wo sie mit Jean Renoir Elena et les hommes (1956) drehte. Für Anastasia (1956) erhielt sie, zurück in der Traumfabrik, ihren zweiten Oscar. In diesem süssen Drama spielte sie eine russische Zarentochter, was zum Beispiel Filmpublizist David Thomson so grotesk fand, dass er schrieb, hoffentlich bewahre sie die Trophäe nicht am gleichen Ort auf wie diejenige von Gaslight…
Obwohl wegen der Rossellini-Affäre immer noch gerne auf sie eingeprügelt wurde, drehte Ingrid Bergman jetzt wieder regelmässig, aus den späteren Filmen ragt das vergnügliche Starvehikel Murder on the Orient Express (1974) heraus. Und natürlich der in ihrer alten Heimat gedrehte Ingmar-Bergman-Film Höstsonaten (1978), ihr letzter Kinofilm (und nein, die beiden Bergmans waren nicht verwandt).
Ingrids Tochter Isabella Rossellini dagegen ging früh ihren eigenen Weg, wurde bekannt als Model, war mit Martin Scorsese verheiratet, drehte den Kultfilm Blue Velvet mit David Lynch (er ist nicht in diesem Programm, weil das Kino REX ihn im September in einer Lynch-Retrospektive zeigt). Als Isabella 42 Jahre alt war, beschied ihr das Kosmetikunternehmen Lancôme, dessen Gesicht sie lange war, sie sei zu alt für diesen Job. Aber das Erstaunliche: Jahrzehnte später hat der Konzern sie zurückgerufen, eine Frau führt nun das Unternehmen, und die neue Chefin bestand darauf, die Zusammenarbeit zu erneuern.
Isabella Rossellini versteht sich als Weltbürgerin. «Meine Mama war Schwedin, der Papa Italiener. Ich lebte in Italien, in Frankreich, in den USA. Ich habe in jeder Sprache, die ich spreche, einen Akzent», sagt sie in Cannes. Und: «Ich bin überall auf der Welt eine Fremde. Das ist gut so.»
Das Weltbürgertum gehört zu ihrem Charakter, hat aber eine geradlinige Karriere verhindert. Sie hat bemerkenswerte Auftritte in Italien (Il prato (1979) der Gebrüder Taviani), in den USA (der wunderbare Restaurantfilm Big Night (1996) von und mit Stanley Tucci), im Weltkino (Conclave (2024) der Papstwahlfilm von Edward Berger).
Wer aber ihr wahres Wesen erfahren will, muss nach dem Stichwort «Porno» googeln: Green Porno heisst eine Serie von Kurzfilmen, die auf Youtube zugänglich sind. Isabella Rossellini schloss nämlich im Alter von über 55 ein Studium in Ethologie ab, beschäftigte sich also mit dem Verhalten von Tieren. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse wiederum setzte sie in Kunst um: Sie drehte diese Serie, in der sie sich mit dem Sexualleben von Bienen, Fischen und Schnecken befasste. «Es hat Spass gemacht, Gruppensex von Muscheln zu imitieren, oder den mehrere Meter langen Penis eines Tieres namens Gezeiten-Seepocke auszufahren», sagte sie.
Mit ihrem Witz und ihrer Intelligenz ist sie eine Bereicherung für jeden Kinofilm, war in den letzten Jahren fleissiger den je («es sind ja nur Kurzauftritte», beschwichtigte sie). Daneben tourt sie mit einem selbst geschriebenen Theaterstück. Und betreibt auf ihrem Landgut auf Long Island ein gehobenes Gästehaus. Aus dem Schatten ihrer übergrossen Eltern hat sie sich so längst befreit.
Bleibt eine letzte Frage. Haben Ingrid Bergman und Isabella Rossellini nie zusammengearbeitet? Doch, es gibt A Matter of Time (1976) von Vincente Minnelli. Das Schmacht-Musical ist vielleicht nicht der beste Film dieser REX-Reihe. Aber der einzige, der zwei Ikonen vereint, die grundverschieden sind. Und doch unzweifelhaft zusammengehören.