
Amour fou
Die österreichische Filmautorin Jessica Hausner (Lovely Rita, Lourdes) interpretiert eine legendäre Amour fou neu: Der Doppelsuizid von Heinrich von Kleist und Henriette Vogel im Jahr 1811 inspirierte sie zu einer eigensinnigen und historisch nicht unbedingt ganz korrekten «ironischen» Liebeskomödie.
Berlin, zur Zeit der Romantik. Der Dichter Heinrich hat den Wunsch, durch die Liebe den unausweichlichen Tod zu überwinden: seine ihm nahe stehende Cousine Marie lässt sich aber partout nicht davon überzeugen, zu zweit dem übermächtigen Schicksal entgegenzutreten und gemeinsam mit Heinrich den eigenen Tod zu bestimmen. Doch die junge Ehefrau eines Bekannten, Henriette, findet gefallen an dem Angebot als sie erfährt, dass sie sterbenskrank sei.
«Man denkt man möchte leben, und möchte doch sterben»: Mit dieser lakonischen Umkehrung der herkömmlichen Betrachtung über Selbstmordwillige eröffnet der Film einen seltsamen Abgrund, der sich zwischen den Dingen des alltäglichen Lebens auftut. Es sind die ganz normalen Dinge, die Henriette plötzlich beunruhigen und ihr das Gefühl geben, eine Fremde in ihrem eigenen Leben zu sein. Eine Einsamkeit, die nur derjenige lindern kann, der diesen Abgrund ebenfalls kennt? Inwieweit diese Sehnsucht nach dem Spiegelbild der eigenen Empfindungen nun eine Ilusion ist oder wahr – wer würde wagen dies zu wissen? Einzig und allein die Wirklichkeit des Todes ist in dieser Hinsicht unumstösslich.
«Die Regisseurin hat ein historisches Sujet in ein zeitgenössisches Konversationsstück verwandelt. Die Dialoge orientieren sich an Kleists Briefwechseln von vor 200 Jahren, hören sich aber nie gestellt, sondern völlig natürlich an. Auch die Kulissen, die Boudouirs und Salons, wirken erstaunlich zeitgenössisch. Manche Einstellungen erinnern an die strengen Tableaus, die der österreichische Regisseur Ulrich Seidl in seinen Filmen entwirft. Für sie habe weniger die Geschichte Kleists im Vordergrund gestanden als die Idee des gemeinsamen Selbstmordes, sagt Hausner. Was sie interessiert, ist der Wunsch, angesichts der Sinnlosigkeit, Oberflächlichkeit und Grausamkeit der Welt daraus zu verschwinden – und der egozentrische Gedanke, das nicht allein zu tun.»
(Carolin Ströbele, «Die Zeit»)