Ein Sommer mit: Cate Blanchett
29.06. – 30.08.2023
Mit Elizabeth gelang ihr 1998 der internationale Durchbruch, spätestens seit dem Oscar 2014 für ihre umwerfende Darstellung einer blasierten High-Society-Diva in Blue Jasmine, gilt Cate Blanchett als eine der faszinierendsten Schauspielerinnen ihrer Generation. In unserer Sommer-Retro zeigen wir 15 Filme aus allen Schaffensphasen, vom frühen Oscar & Lucinda (1997) bis zu Tár (2022). Sie belegen eindrücklich die in ihrer kontrollierten Perfektion fast schon unheimlich wirkende Wandelbarkeit der 53-jährigen Australierin.
Pamela Jahn
Schon ihre erste Begegnung ist ein einziger Flirt: Als sich die Blicke zwischen der eleganten Hausfrau Carol (Cate Blanchett) und der Verkäuferin Therese (Rooney Mara) in der Spielwarenabteilung eines Kaufhauses treffen, scheint im New York der 1950er-Jahre für einen Augenblick die Zeit stillzustehen. Ein flüchtiger Wortwechsel, tastende Fragen, absichtlich liegen gelassene Damenhandschuhe: Mehr braucht es nicht für den Beginn dieser lesbischen Romanze – und mehr darf nicht sein. Carol steckt mitten im Scheidungsprozess von ihrem Ehemann. Später wird er ihre geheime Liebschaft gegen seine Gattin verwenden. Sie muss fürchten, das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter zu verlieren. Aber die Sehnsucht ist stärker. Die Chemie zwischen ihr und Therese ist greifbar und universell. Und irgendwann kann Carol der alles sprengenden Liebe nicht mehr widerstehen.
Cate Blanchett, die sich dem Schmerz und dem Verlangen ihrer Figur in Todd Haynes’ gleichnamigem Film mit grösster Sorgfalt und Empathie annähert, geht es ähnlich: Auch sie kennt kein Halten mehr, wenn sie die Leidenschaft packt. Sie liebt das Spielen, die Verwandlung, das Gefühl, auf einer Bühne oder vor der Kamera zu stehen. Nicht umsonst ist sie eine der aufregendsten Schauspielerinnen ihrer Generation. Acht Oscar-Nominierungen und zwei Trophäen sprechen für sich. Allein ihre Hauptrolle in Woody Allens Blue Jasmine (2013) brachte ihr insgesamt fast vierzig Auszeichnungen ein. Im Januar erhielt sie ihren vierten Golden Globe für die Darstellung einer um die Welt jettenden Stardirigentin in Todd Fields’ furiosem Psychodrama Tár (2022), einer Frau, die an sich selbst, ihrer Schuld und der Gesellschaft zerbricht. Es gibt kaum eine Rolle in ihrer bisher über siebzig Filme und zwanzig Theaterproduktionen umfassenden Biografie, für die sie keine offizielle Anerkennung erhielt.
Aber es ist nicht ihr Ruhm, an dem sich die Faszination für die 1969 in Melbourne geborene Vollblutschauspielerin festmachen lässt. Cate Blanchett, die in jedem Film einen Kraftakt vollbringt, ist auf der Leinwand wie im Leben seltsam unnahbar und wahrhaftig zugleich. Stets vermittelt sie im Kino den Eindruck, als lebe sie ihre Figuren, als kämpfe, liebe und leide sie mit ihnen, als ginge es um alles oder nichts. Gleichzeitig wirkt sie in der Öffentlichkeit immer ein bisschen distanziert, extrem professionell und hoch kontrolliert. Wie gut sie ist, weiss man spätestens, seit sie 1998 in Shekhar Kapurs historischem Biopic Elizabeth der englischen Königin Rückgrat und Würde verlieh. Kaum ein Jahr zuvor hatte sie in ihrer ersten internationalen Produktion, Paradise Road von Bruce Beresford, an der Seite von Glenn Cose und Frances McDormand in einer Nebenrolle geglänzt. Heute wechselt sie schlafwandlerisch zwischen Kunst und Kommerz, ganz gleich, ob sie in der kinotauglichen Filminstallation Manifesto (2017) des deutschen Künstlers Julian Rosefeldt gleich ein ganzes Dutzend verschiedener Archetypen auf einmal verkörpert oder als intrigante Bösewichtin im Marvel-Universum von Thor: Ragnarok (2017) indirekt und herrlich selbstironisch ihre weise Elbenfürstin Galadriel aus Peter Jacksons Lord of the Rings-Trilogie (2001–2003) konterkariert. Mit ihrer fast überirdischen Bandbreite ist die Australierin vielleicht das schönste Rätsel, das Hollywood dem Publikum jemals aufgegeben hat. Auch Blanchett weiss das, und man merkt ihr eine fast diebische Freude an dieser Herausforderung an.
Die grosse Verwandlungskünstlerin, die auch in der Öffentlichkeit ihre Fassade nie ganz fallen lässt, spielt immer präzise und tief, mit einem schier unendlichen Repertoire an Gesten und Emotionen im Blick. Bei ihr wird aus Ernst mit einem Wimpernschlag Ironie, und es besteht stets die Gefahr, dass ihre Schönheit ohne Vorwarnung ins Böse, Brutale oder Vulgäre kippt. Sie kann fantastisch glamourös sein wie ihre Katherine Hepburn in Martin Scorses The Aviator (2004), in Guillermo del Toros Retro-Noir Nightmare Alley (2021) eine fabelhaft grausame Psychologin mimen oder in I’m Not There (2007) von Todd Haynes als eine fiktive Version von Bob Dylan durchgehen. Oft quält sie sich mit ihren Figuren durch die dunkleren Korridore menschlicher Komplexität, wie die ehemalige Heroinsüchtige Tracy, die in Rowan Woods’ Little Fish (2005) mühsam versucht, sich eine neue Existenz aufzubauen. Ein andermal ergraut sie für David Fincher in The Curious Case of Benjamin Button (2008) dermassen graziös, dass sie selbst den sich an ihrer Seite stetig verjüngenden Brad Pitt alt aussehen lässt.
Am liebsten sind ihr die Anspruchsvollsten: Frauen, die anecken, aus dem Rahmen fallen, in Ungnade stürzen, herausfordern – nicht nur sich selbst. Blanchett befreit ihre Protagonistinnen aus sämtlichen Klassen und Konventionen, die ihnen nicht nur in Hollywood traditionell zugeschrieben werden – aber sie kommen meist nicht ungeschoren davon. So wie Jasmine, eine von Blanchetts Paraderollen, die in Allens meisterhafter Tragikomödie ihren Traum von einem sorgenfreien Luxusleben begraben muss, weil sich ihr Ehemann mit seinen dubiosen Geschäften ins Aus katapultiert hat. Oder die erfolgreiche TV-Produzentin und CBS-Journalistin Mary Mapes in Truth (2015), die im Vorfeld der Wahlen 2004 wegen einer Reportage über Präsident George W. Bush ins Kreuzfeuer gerät. Schon in ihrer ersten tragenden Rolle als junge Glasfabrikantin in Gillian Andersons historischer Romanze Oscar & Lucinda (1997) rüttelte sie an der Seite von Ralph Fiennes unbändig an bestehenden Normen und gab ihrer Spielwut freien Lauf – im doppelten Sinn: Das ungleiche Paar im Film vereint eine Leidenschaft fürs Zocken, fürs Risiko und für unmögliche Ideen. Und auch Sheba, die junge, idealistische Lehrerin, die in Notes on a Scandal (2006) eine Affäre mit einem minderjährigen Schüler eingeht und dadurch für ihre ältere Kollegin (Judi Dench) erpressbar wird, legt Blanchett in einem Dazwischen aus Melancholie und Lebenshunger an.
Es ist charakteristisch für die Tochter einer Lehrerin und eines texanischen Werbefachmanns mit Militärvergangenheit, dass Blanchett ihren Aufstieg zum Filmstar ausschliesslich ihrer Arbeit verdankt. «Ich war auf der Schauspielschule, hätte aber nie gedacht, dass ich überhaupt in der Lage bin, im Filmgeschäft zu bestehen», sagt sie heute mit ihrem unwiderstehlichen Strahlen im Blick. «Als ich die Chance bekam, habe ich Blut geleckt.» Viel mehr verrät sie nicht. Über ihr Privatleben gibt Blanchett bekanntlich nur das Nötigste preis. Dass sie Mutter von vier Kindern ist, erzählt sie nur gern, weil sie stolz auf ihren Nachwuchs ist. 2008 traf sie die riskante Entscheidung, ihre Filmengagements einzuschränken, um sich mehr auf die Familie zu konzentrieren und gemeinsam mit ihrem langjährigen Ehemann, dem Bühnenautor Andrew Upton, die künstlerische Leitung der Sydney Theatre Company zu übernehmen. Ihr war damals durchaus bewusst, dass dieser Schritt ein Wagnis bedeutete; ein Fehler, wie viele behaupteten, war es ihrer Ansicht nach nicht: «Ich glaube, dass ich dadurch eine bessere Schauspielerin geworden bin.» Ein Blick auf ihre unzähligen schillernden, komplexen und kompromisslosen Rollen, die einen immer wieder aufs Neue in ihren Bann ziehen, gibt ihr recht.