Aus Anlass der Ausstellung «Paul Klee und die Surrealisten» im Zentrum Paul Klee zeigen wir im Januar und Februar eine Reihe mit Klassikern des Surrealismus und Filmen aus dem Universum des Marquis de Sade.
«Kino und Surrealismus sind voneinander nicht zu trennen. Wenn André Breton in seinem surrealistischen Manifest von 1924 verkündet, es gelte Realität und Traum zusammenzuschweissen zu einer absoluteren Realität, zu einer ‹surréalité› – dann fasst er damit nur in Worte, was er bereits aus seinen endlosen Streifzügen durch die Lichtspielhäuser von Nantes am Ende des Ersten Weltkriegs kannte. Wahrgenommenes und Imaginäres, Virtualität und Aktualität, Wachen und Traum – all diese sauberen Gegensätze lässt das Kino zusammenfliessen, spielend leicht. Es kann seit seiner Geburt gar nicht anders. Denn der Film verwandelt zwangsläufig lebendige Schauspieler zu blossen Schatten an der Wand und erweckt umgekehrt tote Gegenstände zu mysteriösem Leben. Durchs Objektiv des Apparats gesehen, verändert sich die Realität und wendet uns ihre surrealen Kehrseiten zu.
Wenn in Man Rays Les mystères du Château du Dé (1929) die Kamera über die Aussenseite eines Hauses gleitet, verbinden sich die Bilder zu einer neuen, rätselhaften Architektur. Das Filmen selbst macht aus dem Gebäude ein mysteriöses Schloss. (...) Der Surrealismus im Film entpuppt sich damit paradoxerweise als eigentlich realistisches Verfahren: Er stellt klar, was im Kino immer schon Sache war. Das gilt ganz besonders auch für jenen wohl bis heute berühmtesten Moment des surrealistischen Kinos, wenn nicht gar des Surrealismus überhaupt: der Schnitt durchs Auge in Luis Buñuels und Salvador Dalís Un chien andalou von 1929. Die Gewalttat gegen das Sehorgan macht explizit, dass Film immer schon auf einer Überwältigung des Auges basierte. Beruht nicht die ganze Illusion des bewegten Bildes darauf, dass man sich die Trägheit des menschlichen Auges zunutze macht? Starre Einzelbilder wechseln sich in so schneller Folge vor unseren Augen ab, dass die einzelnen Posen zu einer kontinuierlichen Bewegung zusammenfliessen. Doch was uns als lebensechte Darstellung erscheint, ist in Wahrheit ein Massaker. Zwischen jedem Einzelbild liegt auf dem Filmstreifen ein Zwischenraum, und die Blende im Kinoprojektor skandiert den Tanz dieser Einzelbilder zusätzlich. Unser Hirn glaubt den Fluss des Lebens zu sehen, aber was sich unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle vor unseren vergewaltigten Augen abspielt, ist in Wahrheit ein Stakkato aus Unterbrechungen: Cut, Cut, Cut, Cut – ganze 24-mal pro Sekunde. Un chien andalou nimmt diese Schnitttechnik nur wörtlich und führt sie nicht nur vor unsere Augen, sondern auch an unseren Augen vor.» (Thomas Binotto, Filmhistoriker)
Die Reihe mit Klassikern des surrealistischen Films beginnen wir mit den Emak-Bakia, L’étoile de mer und Les mystères du Château du Dé, drei legendären Werken von Man Ray, deren Kopien uns vom Centre Pompidou verdankenswerterweise zur Verfügung gestellt wurden. Es folgen die Klassiker Un chien andalou und der von de Sade inspirierte L’age d’or von Luis Buñuel und Salvador Dalí. Fredi M. Murers Chicorée, Maya Derens Meshes of the Afternoon und Jack Smiths Flaming Creatures führen die Reihe weiter zu den Langfilmen L’année dernière à Marienbad von Alain Resnais, Dreams That Money Can Buy von Gerhard Richter, Orphée von Jean Cocteau und Cet obscur objet du désir von Buñuel.
Parallel dazu zeigen wir eine Reihe von Filmen aus dem Universum von de Sade. Wir beginnen mit Pasolinis Salò o le 120 giornate di Sodoma – ein Film, der in seiner Radikalität heute noch unübertroffen ist. Auf den biografischen Quills mit Geoffrey Rush in der Rolle des Marquis folgt als Berner Premiere The Duke of Burgundy von Peter Strickland. Mit Jess Francos Marquis de Sade: Justine und Roman Polanskis Venus in Fur beschliessen wir im Februar die Reihe.
Die Ausstellung «Paul Klee und die Surrealisten» im Zentrum Paul Klee (bis 12. März 2017) beleuchtet zum ersten Mal umfassend die Beziehung Paul Klees zu den surrealistischen Künstlern im Paris der 1920er- und 1930er-Jahre. Für die Surrealisten der ersten Stunde wie Max Ernst und Joan Miró, aber auch für Literaten wie Louis Aragon oder Paul Éluard war die Begegnung mit Klees traumhaft verwobenen Bildwelten eine künstlerische Offenbarung. Themen wie die Welt als Traum, surreale Maschinen und Apparate, imaginäre Pflanzenwelten (Histoire naturelle), rätselhafte Porträts und Masken, das Geheimnis der Objekte, unwirkliche Räume und imaginäre Architekturen erhellen die gegenseitige Auseinandersetzung. Die Ausstellung ist in enger Zusammenarbeit mit dem Centre Pompidou in Paris entstanden und vereint um 300 Exponate, darunter eine grosse Anzahl von Schlüsselwerken surrealistischer Künstler wie Max Ernst, Joan Miró, Hans Arp, Alberto Giacometti, André Masson, René Magritte, Pablo Picasso und Salvador Dalí aus den wichtigsten Museen der Welt mit ausgewählten Bildern Klees.